""Wie wäre es, wenn wir uns spontan anlächeln würden, unbesehen um Ideen von Fremdheit und Nationalität?"
Solchen Fragen geht Henri Roorda in einem kleinen Essay nach, den er mit dem Titel "Mein sentimentaler Internationalismus" versehen hat. Wie viel mehr Sorglosigkeit wäre möglich als in der vorsichtigen und ängstlich sich abgrenzenden Gesellschaft, die wir heute noch kennen?
Grundlegende Überlegungen über das menschliche Zusammenleben stellt Roorda auch im zweiten hier vorgestellten Essay an, bei dem es um die "Vernebelung der Gehirne" geht.
Je nachdem bezeichnet man den Vorgang als Beeinflussung, Indoktrinierung oder Manipulation, und meist wird er von den Betroffenen selbst erst im Nachhinein als solcher erkannt… Vor bald hundert Jahren hat Henri Roorda mit dem ihm eigenen Scharfblick und Humor das Phänomen unter die Lupe genommen und das Zeitlose daraus herausgefiltert. Unverbraucht aktuell!" (Verlagstext)
"Ich möchte gerne wissen, ob meine ausgeprägte Vorliebe für den Frieden einzig ein Zeichen der Schwäche, oder ob meine Sensibilität die normale Sensibilität des modernen zivilisierten Menschen ist."
"Lasst uns also, um die Ankunft dieses hypothetischen Tages etwas voranzutreiben, an dem der Mensch keine Angst mehr vor dem Menschen haben wird, unverdrossen den Boden für gastfreundliche Geister und hasslose Herzen bereiten."
Henri Roorda (1870 – 1925), wohl der originellste Humorist und Schriftsteller der Westschweiz, dessen libertär philosophische Gedanken erst seit Kurzem wieder wahrgenommen werden, hat seinem Leben 1925 ein Ende gesetzt.
2010 veröffentlichte der verlag die brotsuppe sein Büchlein Mein Selbstmord, in dem er diese seine Absicht kundgetan hatte.
"Anders als es der Titel vermuten lässt, handelt es sich dabei weder um einen schwerblütig düsteren noch um einen zynischen Text, auch wenn Roordas Witz sich zuweilen ätzend gibt, und der Autor sein Vorhaben tatsächlich wahr gemacht hat. Mit scheinbar leichtfüßiger Distanz betrachtet er sich selbst und die Gesellschaft seiner Zeit und arbeitet messerscharf das Wesentliche heraus, das – leider! – auch für unsere heutigen Verhältnisse gültig bleibt.
Angesichts des wachsenden Drucks, dem sich die Menschen in ihrer Arbeit ausgesetzt sehen, angesichts des Konformitätsdrucks, der allem Anschein zum Trotz gerade in jüngster Zeit noch stärker geworden ist, hat das kleine Werk eine unglaubliche Aktualität. Weit davon entfernt, seinen Selbstmord als nachahmenswertes Beispiel erscheinen zu lassen, ist der Scharfblick des Autors dazu angetan, eine befreiende Distanz zu den offenbar "unverbesserlichen" gesellschaftlichen Verhältnissen zu schaffen." (Verlagstext)
"Wenn ich eine dieser prachtvollen Banken betrete, die man vor kurzem in Lausanne gebaut hat, spüre ich eine heilige Ergriffenheit: Ich stehe im Tempel der Lebendigen Religion. Es gibt keine Scheinheiligen unter den Gläubigen, die ich hier antreffe: Keiner von ihnen zweifelt an der Allmacht seines Gottes."
"Weil die Armen zahlreich sind, werden sie es vielleicht schaffen, 'Gerechtigkeit' in den Verteilmodus der Vorräte zu bringen. Die Perspektive eines gut organisierten sozialistischen Staates, in dem der Einzelne materielle Sicherheit genösse, missfällt mir keineswegs. Wenn man sicher ist, sich jeden Tag die Nahrung zu beschaffen, die man braucht, kann man an anderes denken: Man hat den Kopf frei. In der heutigen Welt, in der 'die Freiheit' regiert, sind die meisten Menschen sorgenvoll."
Henri Roorda, Ein lauwarmer Planet mit Läusen. Betrachtungen eines Weltbürgers. Aus dem Französischen von Yla M. von Dach. 80 Seiten, gebunden. verlag die brotsuppe, Biel 2011. 21,00 Euro
Henri Roorda, Mein Selbstmord. Aus dem Französischen von Yla M. von Dach. Illustriert von Ursi Anna Aeschbacher. 64 Seiten, gebunden. verlag die brotsuppe, Biel 2010. 19,00 Euro
Kommentar schreiben