"An einem kleinen Stadttheater wird die Souffleuse gekündigt.
Mit dem Furor eines einzigen Satzes umkreist die Novelle den letzten Moment vor der Kündigung:
Frau Gilsbrod, Diva des Hauses und Muse des Dirigenten, gerade im Begriff ihr erstes viergestrichenes C im fortissimo zu singen, hat sich im Text verhakt und wartet auf den Einsatz der
Souffleuse. Doch die kann ihr den Text nicht geben, denn sie muss beim Anblick der Gilsbrod schrecklich lachen. Während Gilsbrod ihre Koloratur verzweifelt auf a weitersingt, steigert sich die
Souffleuse in die Versatzstücke ihrer Erinnerung hinein. Kindheitsbilder tauchen auf, die Schulzeit und immer wiederkehrend die Stimme der Mutter, die – ebenfalls Souffleuse – noch mitten auf der
Bühne in ihrer goldbarocken Muschel saß, wo sie der Brandung des Meeres lauschend, das Theater atmen hörte.
Komisch und abgründig zugleich durchleuchtet der Monolog der Protagonistin in seiner rauschhaften Kadenz das Leben am Theater, gibt eine Ahnung davon, welche Dramen sich auf und hinter der Bühne
abspielen, in den geheimen Dachkammern und Hinterzimmern. Eine Parabel über den Untergang des Unsichtbaren, die Sparkasse im Theater und die kleinbürgerlich größenwahnsinnigen
Stadttheaterillusionen." (Verlagstext)
Für die atemlose Geschichte, die einem nur kleine Pausen bietet, hat sich Bergk bizarre Wendungen einfallen lassen, die reich an Drastik und Gewaltphantasien sind. Rhythmus und Intensität ihrer Erzählung verleiten dazu, sie laut zu lesen. Am Besten mal im ICE-Großraumwagen ausprobieren. - Matthias Reichelt, Zitty
- Sabine Bergk, Gilsbrod. Novelle. 120 Seiten, gebunden. Dittrich Verlag, Berlin 2012. 14,80 Euro
Wer schon mal dabei ist, mag vielleicht auch noch diese Novelle von Carlo Emilio Gadda lesen, die im Verlag Klaus Wagenbach erschienen ist: Adalgisa.
Ich zitiere den Text zur (vergriffenen) Ausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag:
"Im Mailand der 30er Jahre sitzt die Witwe und ehemalige Opernsängerin Adalgisa mit ihrer jüngeren und schönen Schwägerin Elsa auf einer Parkbank und klagt unter Tränen, Stoßseufzern und Zornesausbrüchen über ihr Leben an der Seite des "seligen Carlo". Aus den sozialen Niederungen ihrer Herkunft hatte sie sich "emporgesungen", aber nicht die Karriere, einzig und allein der Erwerb eines "rechtmäßigen Gatten" lag ihr am Herzen. Sie - ein einfaches Mädchen aus der Lombardei - heiratete den wohlhabenden Wichtigtuer Carlo, einen degenerierten Sproß des Mailänder Adels, und blieb für ihn zeitlebens eine "Mesalliance".
Unnachahmlich, wie Gadda im Lamento der Adalgisa die unsinnigen Ticks und Rituale, die pathetischen Besorgnisse der reichen Müßiggänger geißelt. Seine Protagonistin beherrscht alle Register des keifenden Neides, der hämischen Bloßstellung einer Gesellschaft, die nur noch von ihrer Vergangenheit zehrt.
Carlo Emilio Gadda gehörte selbst zum Kreis der Verehrer, die sich um Adalgisa scharten. Mit dieser boshaften Geschichte, die im Jahr ihres Erscheinens als eines der Hauptwerke ihres Autors gefeiert wurde, rächt er sich auf literarisch glanzvolle Weise am bourgeoisen Mittelmaß und hat damit die Literatur um eine faszinierende Frauenfigur bereichert."
- Carlo Emilio Gadda, Adalgisa. Erzählung. Aus dem Italienischen von Toni Kienlechner. 96 Seiten, rotes Leinen, Fadenheftung. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1989. 13,90 Euro
(mr)
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