Die Mainzer Minipressenmesse, die am vergangenen Sonntag zu Ende ging, bot trotz ihrer verwirrenden Mischung aus elitärer Buchkunst, Esokram und Underground manche Sensationen.
Zu nennen wären die Verlage Edition Zwiefach (Potsdam/Groß Glienicke) mit - zum Beispiel - einer schönen illustrierten Fontane-Ausgabe (Onkel Dodo) und einem Blick in die Werkstatt des Dichters Richard Pietraß (Kippfigur), die Edition Thurnhof (Horn) mit feinen Büchern von Xaver Bayer, Barbara Frischmuth, Karl-Markus Gauss, Bodo Hell, Friederike Mayröcker etc., der Verlag altaQuito Publikationen aus Göttingen mit einer Wundertüte voller Entdeckungen aus der US-amerikanischen (Beat-)Literatur, Das Fröhliche Wohnzimmer (Wien), in das man immer gern einfällt, oder der exklusive Verlag Klaus G. Renner - der sehr schöne, aber kostspielige Editionen herausbringt, die man nach dem Erwerb gleich in den Safe schließt... Bücher für Leute, die genug Asche hätten, um mäzenatisch alle Low Budget-Verlage zu unterstützen, die Saison um Saison Bücher von neuen (sie müssen nicht mal jung sein) Autoren veröffentlichen, von denen einst viele berühmt sein werden (wenn das ein Kriterium ist). Man muss aber kein reicher Kafuppert sein - ein Wort aus der Kindheit, das mir gerade wieder einfällt... -, um sie heute schon zu lesen. Das ist doch super!
Übrigens, in puncto Preisgestaltung das andere Extrem: SuKuLTuR mit seiner Reihe "Schöner Lesen". Leider war der Berliner Verlag in Mainz ohne Stand (überhaupt habe ich manche Verlage vermisst), was durch die Präsenz der Verleger aber fast wieder wettgemacht wurde.
Nach dieser Intro nun zum Geburtstagskind kookbooks (ebenfalls in Mainz dabei). - Auch binooki hat Geburtstag, dazu bei späterer Gelegenheit.
Auf Martina Hefters Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch hat der Hotlist-Blog kürzlich schon hingewiesen, siehe hier. meine schönste lengevitch, der neue Gedichtband von Uljana Wolf, ist noch nicht erschienen (folgt bald).
Hier also ein Blick auf die andere Hälfte der Frühjahrsneuerscheinungen von kookbooks.
Steffen Popp, Dickicht mit Reden und Augen
"Wenn wir schon heute – behaupte ich mal – grundsätzlich dazu imstande sind, alles Erdenkliche poetisch zu verhandeln, was ist in Zukunft, neben allen schon im Voraus gebuchten Unsäglichkeiten, noch vom Gedicht zu erwarten?
Professor Gnu gibt sich optimistisch: "Fortschreitende Entkrampfung fördert das Absterben perspektivischer Verpeilung: Ticks, Tricks, Posen, nutzlose Priesterschaft, Gelehrtheit, Diskursgefuchtel, Jugend- und Altersweh, didaktischer Überbiss.
Wo alles dekonstruiert ist (de-, re-, de-) und auch in Bezug auf das Dichterselbst wohltuend nichts mehr herumsteht, ist Hoffnung auf – nachdenkliches Starren Gnus in den von PVC-Bodenbelag, PVC-Möbeln und einer PVC-Zimmerpalme als Anhängsel der petrochemischen Industrie markierten Seminarraum – nun, wohl auf den Exodus aus dem Text, Erweckung des poetischen Impulses in allen Domänen."
(Text: Steffen Popp, vom Verlag zitiert aus: Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs. Merve Verlag, Berlin 2011, S. 123)
Steffen Popp, geboren 1978 in Greifswald, aufgewachsen in Dresden, lebt seit 2001 als Autor und Übersetzer in Berlin. Weiteres auf der Website von kookbooks. Der Redakteur merkt an: Guter Mann.
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Steffen Popp, Dickicht mit Reden und Augen. Gedichte. Herausgeben von Daniela Seel. 88 Seiten, Broschur mit Umschlagposter, gestaltet von Andreas Töpfer. kookbooks, Berlin
2013. 19,90 Euro (= Reihe Lyrik, Bd. 29)
Tristan Marquardt, das amortisiert sich nicht
"Was tun Gedichte im Raum einer Kommunikation, die schnelllebig ist und kaum Pausen zulässt? Wohin trägt eine Sprache, die sich über ihre Tragweite nicht sicher ist?
"das kommt uns alles kaum bekannt vor, hand aufs herz": Das amortisiert sich nicht.
Tristan Marquardts Gedichte verlegen die Aufmerksamkeit vom Resultat auf den Prozess. Sie ver- sichern:
Wenn es dunkel ist, trägt ein Schatten auf die Schicht Licht, die eine Lampe auf die Dunkelheit gelegt hat, eine weitere Schicht Dunkelheit auf. Wenn es dunkel ist, hebt ein Schatten unter der Schicht Licht, die eine Lampe auf die Dunkelheit gelegt hat, die Dunkelheit wieder hervor.
Betritt man sein Zimmer über eine Rückraumgrenze, geht man "in sein zimmer hinaus".
Und wenn man auf die Straße geht, ist das nicht der Park, "aber mit ein, zwei kleinen änderungen könnte er es sein".
So greifen Marquardts Texte konstruierend in das ein, was längst schon konstruiert und vorhanden ist und woran doch immer weiter noch gearbeitet wird.
Im Bau Begriffenes. Was sich nicht aufrechnen lässt. Körper sondergleichen. So „als hätte man gerade das cembalo erfunden, aber vergessen, wo man es hingestellt hat."
(Text: kookbooks)
Tristan Marquardt, geboren 1987 in Göttingen, lebt in München und Zürich. Er ist Mitglied des Berliner Lyrikkollektivs G13 (www.gdreizehn.com), dessen Mitgründer er 2009 war. Er war Finalist beim 19. und 20. open mike der Literaturwerkstatt Berlin. Seit 2011 verfasst er neben dem eigenen Schreiben mit Linus Westheuser gemeinsame Gedichte, seit 2012 organisiert er die Lesereihe "meine drei lyrischen ichs" in München. Seine Texte wurden in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht (zuletzt: 40 % Paradies. Gedichte des Lyrikkollektivs G13, luxbooks 2012) und ins Englische und Slowakische übersetzt. das amortisiert sich nicht ist sein erster Gedichtband.
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Tristan Marquardt, das amortisiert sich nicht. Gedichte. Herausgegeben von Daniela Seel. 80 Seiten, Broschur mit Umschlagposter, mit beiliegendem Heftchen mit Illustrationen
von Andreas Töpfer. kookbooks, Berlin 2013. 19,90 Euro (= Reihe Lyrik, Bd. 31)
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